Investitionen
Alle sind sich einig: Der Staat muss in die Zukunft investieren. Doch wie genau? Woran scheitert es bisher? Wie können wir es in der Zukunft besser machen? Folgende Texte bieten eine Übersicht zu öffentlichen Investitionen.
Braucht Deutschland mehr öffentliche Investitionen?
Die Relevanz von Öffentlichen Investitionen ist angesichts der Herausforderungen der Digitalisierung, des demographischen Wandels und des Klimaschutzes unbestreitbar. Auch für die Erreichung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Regionen und den sozialen Zusammenhalt ist eine funktionierende öffentliche Infrastruktur essentiell. Eine gute Übersicht über dem Bedarf an zusätzlichen öffentlichen Investitionen bietet ein gemeinsames Papier des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie & Konjunkturforschung (IMK) sowie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Dieses schätzt den Bedarf an zusätzlichen öffentlichen Investitionen in Deutschland innerhalb der nächsten zehn Jahre auf 457 Mrd. €. Dieser lässt sich entsprechend aufschlüsseln (Bardt et al. 2019):
Wie wirken öffentliche Investitionen auf private Investitionen?
Vom Staat getätigte Investitionen wirken sich auch auf die Investitionstätigkeit der Haushalte und Unternehmen aus. Allgemein werden zwei gegenläufige Wirkungskanäle beschrieben; der Verdrängungseffekt (crowding-out) auf der einen Seite und der Stimulationseffekt (crowding-in) auf der anderen. Aus einer theoretischen Perspektive sind die Nettoeffekte nicht eindeutig bestimmbar (u.a. Ramey 2020; Leeper et al. 2017; Bachmann & Sims 2011).
In einer aktuellen empirischen Studie des DIW wurde dagegen für die Jahre seit der Wiedervereinigung in Deutschland ein statistisch signifikanter crowding-in Effekt nachgewiesen. Das heißt: Im Durchschnitt führte jeder Euro öffentlicher Investitionen zu 1,50€ zusätzlicher privater Investitionstätigkeit (Belitz et al. 2020). Dass der crowding-in Effekt überwiegt, wird von diversen weiteren Studien bestätigt (u. a. Dreger & Reimers 2016; Kitlinski 2015; Clemens et al. 2019). Hierbei ist hervorzuheben, dass öffentliche Investitionen gerade in Niedrigzinsphasen und Wirtschaftskrisen besonders stimulierend auf den Privatsektor wirken. Während in der kurzen Frist vor allem in der Baubranche und im Maschinen- und Anlagenbau zusätzliche Investitionen angelockt werden, sind es in der mittleren Frist vorwiegend Investitionen in Forschung und Entwicklung (Belitz et al. 2020).
Welche Faktoren verhindern und begrenzen öffentliche Investitionen?
Geringe politische Attraktivität: Investitionen werden im politischen Alltagsgeschäft teilweise vernachlässigt, da sie ihren Nutzen erst in der Zukunft entfalten und verschobene Investitionen somit erst später sichtbar werden (vgl. Bardt et al. 2019).
Dogma des schlanken Staates: Die Idee eines schlanken Staates führte seit Anfang der 2000er zu einem politischen Fokus auf Ausgaben- und Einnahmenreduktion, verbunden mit einer Vielzahl an Privatisierungsvorhaben und einer Vernachlässigung von öffentlichen Investitionen (Hüther 2020). Dies wurde durch eine zu geringe Schätzung an staatlichen Investitionsbedarfen verstärkt, abgeleitet von einer – aus heutiger Sicht – zu niedrigen Prognose der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung (Bardt et al. 2019).
Unzureichende Finanzausstattung der Kommunen: Seit den 1990er-Jahren ist ein immer geringerer Anteil kommunaler Ausgaben für Investitionen verwendet worden. Dabei sind die Kommunen für 55 % des deutschen Kapitalstocks verantwortlich und haben daher eine besondere Relevanz für öffentliche Investitionen (Bardt et al. 2019; Fratzscher 2016, Grömling et al. 2019).
Begrenzte Planungskapazitäten: Die mangelnde finanzielle Ausstattung der Kommunen führte zudem zu einem Abbau personeller und verwaltungstechnischer Kapazitäten, wodurch auch Planungskapazitäten stark zurückgegangen sind. Dies hat zur Folge, dass sich Planungsverfahren für Investitionsprojekte teilweise deutlich in die Länge ziehen (Truger 2016; Fratzscher 2016).
Bürokratische Hürden: Die bürokratischen Anforderungen an öffentliche Projekte sind in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen. Rechtliche Vorschriften oder Klagen von Bewohnern und Verbänden verkomplizieren die Verfahren und erfordern noch größere Planungskapazitäten. Gerade im Bereich des Ausbaus Erneuerbarer Energien stellt dies ein Hindernis dar (Puls 2020).
Auslastung der Bauwirtschaft: Die Bauwirtschaft hat nach einer Krise in den 2000er Jahren ihre Kapazitäten stark gesenkt. Daher kann sie die aktuelle Nachfrage nicht ausreichend und nicht rechtzeitig bedienen. Eine Ausweitung der Kapazitäten im Baugewerbe benötigt zum einen Zeit und zum anderen Vertrauen auf eine konstante, langfristige Nachfrage (z. B. der öffentlichen Hand), die Kapazitätserweiterungen rentabel macht. Gerade letzteres ist angesichts der niedrigen staatlichen Investitionstätigkeit nicht der Fall gewesen (Bardt et al. 2019; Feld et al. 2019; Puls 2020).
Kontroverse: Ein Teil der volkswirtschaftlichen Analysen führt die angestauten Investitionsbedarfe des Staates nicht auf mangelnde finanzielle Mittel, sondern primär auf die Überlastung der Bauwirtschaft und mangelnde Planungskapazitäten zurück (Feld et al. 2019). Andere wiederum betrachten die unzureichende Priorisierung öffentlicher Investitionen sowie die geringen finanziellen Spielräume des Staates als ursprüngliche Gründe für den Investitionsstau und ausbleibende Kapazitätserweiterungen in der öffentlichen Planung und im Bausektor (Bardt et al. 2019; Truger 2016; Hüther 2020).
Welche Maßnahmen helfen, öffentliche Investitionen zu ermöglichen?
Reform der Schuldenbremse: Muss die Schuldenbremse verändert werden, um eine zukunftsfähige Finanzpolitik zu ermöglichen? Und wenn ja, wie? Wir arbeiten gerade an den Themen Fiskalregeln und werden bald eine weitere Reihe an kurzen Texten veröffentlichen.
Entlastung der Kommunen: Kommunen besitzen eine hohe Relevanz für öffentliche Investitionen, ihre finanzielle Entlastung wäre ein großer Hebel, um Investitionslücken zu schließen (Fratzscher, 2016). Geeignete Mittel wären beispielsweise ein einmaliger Erlass von Altschulden oder zusätzliche Unterstützung bei Sozialausgaben. Diese Maßnahmen würden insbesondere strukturschwachen Regionen zu Gute kommen.
Ausbau von Planungskapazitäten: Höhere finanzielle Ressourcen für die öffentlichen Verwaltung lassen zum einen größere Spielräume in der Personalplanung zu, und ermöglichen zum anderen, dem Fachkräftemangel durch attraktivere Beschäftigungsmöglichkeiten entgegenzuwirken. Erweiterte Planungskapazitäten können zusätzlich durch eine staatliche Beratungsagentur ergänzt werden, die z. B. Kommunen mit ausgereizten Kapazitäten auffängt und bei einer effizienteren Umsetzung von Investitionsprojekten unterstützt (Fratzscher, 2016). Mit der „Partnerschaft Deutschland“ wurde bereits eine solche Beratungsagentur geschaffen, deren Angebot ausgeweitet werden könnte.
Föderaler Investitionsfonds: Ein föderaler Investitionsfonds im Besitz des Bundes könnte z. B. im Auftrag von Ländern oder Kommunen Investitionsprojekte durchführen und hierfür Kredite in Höhe des Investitionsbedarfs aufnehmen. Länder und Kommunen können das Investitionsprojekt gegen eine Gebühr leasen, somit nutzen und zu einem späteren Zeitpunkt erwerben (Bardt et al. 2019; Fratzscher 2016). Hierdurch können personelle und finanzielle Engpässe – insbesondere in den Kommunen – umgangen werden. Außerdem würde ein solcher Investitionsfonds nicht von der Schuldenbremse (und nur von den europäischen Fiskalregeln) erfasst werden.
Umstellung der staatlichen Buchführung: Die öffentliche Buchführung folgte in Deutschland lange Zeit ausschließlich dem Prinzip der Kameralistik. Die Kameralistik betrachtet nur Ausgaben und Einnahmen, jedoch keine Vermögen. Baut der Staat eine Brücke, berücksichtigt die Kameralistik nur die Kosten des Baus, Investitionsprojekte führen zu Haushaltsdefiziten. Bei der Doppik hingegen, wird die Brücke zusätzlich als erworbenes Vermögen eingetragen. Da Ausgaben für Investitionen gleichzeitig einen Erwerb von Vermögen darstellen, wird der Haushalt netto nicht belastet. Somit können auch große Investitionsprojekte umgesetzt werden, während unter der Kameralistik große öffentliche Investitionen mit dem eingeräumten Verschuldungsrahmen der Schuldenbremse kollidieren können. Länder und Kommunen haben mittlerweile Wahlfreiheit zwischen Doppik und Kameralistik, eine flächendeckende Einführung ist bundesweit Stand jetzt noch nicht vorgesehen (Kirchgässner 2014; Sternberg, 2020).
Quellen
Confidence and the Transmission of Government Spending Shocks. Cambridge, MA: In National Bureau of Economic Research. http://doi.org/10.3386/w17063
Die Infrastruktur in Deutschland: Zwischen Standortvorteil und Investitionsbedarf. In IW-Analysen Nr. 95. Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Köln. http://hdl.handle.net/10419/181856
Für eine solide Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen!. In IMK Report Nr. 152. Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Düsseldorf. http://hdl.handle.net/10419/213410
Öffentliche Investitionen als Triebkraft privatwirtschaftlicher Investitionstätigkeit. In Politikberatung kompakt 158. DIW Berlin. http://hdl.handle.net/10419/233017
Public Investment a Key Prerequisite for Private Sector Activity. In DIW Weekly Report. https://doi.org/10.18723/diw_dwr:2019-31-2
Does public investment stimulate private investment? Evidence for the euro area. Economic Modelling, 58, 154-158. https://doi.org/10.1016/j.econmod.2016.05.028
Öffentliche Investitionen: Die Schuldenbremse ist nicht das Problem. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 20(4), 292-303. https://doi.org/10.1515/pwp-2020-0002
Stärkung von Investitionen in Deutschland. In Stellungnahme der Expertenkommission im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel. Bundesministerium der Wirtschaft und Energie. [Online] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/stellungnahme-expertenkommission-staerkung-von-investitionen-in-deutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=4 [Abgerufen am: 25.01.2021]
Verzehrt Deutschland seinen staatlichen Kapitalstock?. In Wirtschafsdienst 99. Seite 25-31. Wirtschaftsdienst. https://doi.org/10.1007/s10273-019-2390-3
How to re-design german fiscal policy rules after the Covid19 pandemic. In IW-Policy Paper 25/20. Institut der Deutschen Wirtschaft. http://hdl.handle.net/10419/228778
Die Schuldenbremse der Bundesländer: Eine Fehlkalkulation. In 94. Jahrgang. S.721-724. Wirtschaftsdienst. https://doi.org/10.1007/s10273-014-1739-x
The robustness of the effects of public investment in infrastructure on private output: Evidence for Germany. In Ruhr Economics Papers 560, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. http://doi.org/10.1007/s10273-014-1739-x
Clearing Up the Fiscal Multiplier Morass. In American Economic Review 107, 8, Pages 2409–2454. https://doi.org/10.1257/aer.20111196
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Der deutsche Staat kennt seine Bücher nicht. In Makronom. 2020. [Online] https://makronom.de/fiskalpolitik-doppik-kameralistik-der-deutsche-staat-kennt-seine-buecher-nicht-35129 [Abgerufen am: 02.02.2021]
The golden rule of public investment: A necessary and sufficient reform of the EU fiscal framework?. In IMK Working Paper. Nr. 168. Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Düsseldorf. http://hdl.handle.net/10419/144925